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Johann-Radfux-Hof

Fakten

Johann-Radfux-Hof

Breitenfurter Straße 184-196, 1230 Wien

Baujahr: 1960-1962

Wohnungen: 475

Architekt: Harald Bauer, Jakob Zachar, Gerhard Kolbe, Georg Russwurm, Josef (Sepp) Schuster, Friedrich (Fritz) Grünberger

Weitere Adressen

Gerbergasse 4-6, 1230 Wien

Ziedlergasse 36-38, 1230 Wien

Gerbergasse 3-7, 1230 Wien

Wohnen in Wien

In den 1960er-Jahren nahm der Wohnbau in Wien bis hin zum Wohnungsbauboom der 1970er-Jahre kontinuierlich zu. Die Grundlage dafür bildeten 1961 ein städtebauliches Konzept und ein Generalverkehrsplan von Roland Rainer. Der geplante U-Bahn-Bau sowie die Erschließung bisheriger Randgebiete nördlich der Donau förderten diese Entwicklung. Besonders am südlichen und östlichen Stadtrand gab es Grundstücke zu günstigen Preisen, auf denen neue große Wohnviertel geschaffen wurden. Die neue Fertigteilbauweise mit vorgefertigten Betonelementen erlaubte es, in kurzer Zeit ganze Stadtteile neu zu errichten.

Geschichte

Der Johann-Radfux-Hof liegt etwas nördlich des Ortskerns von Atzgersdorf. Der Name Atzgersdorf setzt sich aus dem Personennamen "Atzichi" und "Dorf" zusammen. Atzgersdorf liegt zwischen Erlaa und Mauer, die älteste Erwähnung stammt aus dem Jahr 1120. Durch die Jahrhunderte wurde es mehrmals zu Lehen gegeben, verschenkt oder verkauft. Im 17. Jahrhundert den Jesuiten gestiftet, blieb der Ort bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu 1775 in deren Besitz. Ab 1775 unterstand Atzgersdorf dem Grundherrn von Erlaa, Georg Adam Reichsgraf Starhemberg, und blieb bis 1848 mit Erlaa verbunden. Die Atzgersdorfer Mühlen wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Fabriken umgewandelt und die Industrialisierung weiter fortgesetzt.

Die Architektur

Die Anlage besteht aus insgesamt neun Gebäuden und wurde westlich der Breitenfurter Straße auf zwei durch die Gerbergasse getrennten Grundstücken errichtet. Die beiden Gebäude auf dem lang gestreckten nördlichen Grundstück haben jeweils fünf Stiegen, die sieben Bauten auf dem breiteren Areal an der südlichen Gassenseite vier bzw. drei Stiegen. Die Grünanlagen zwischen und vor den Häuserzeilen sind großzügig bemessen und verfügen über Kinderspielplätze, Bänke und einen großen Baumbestand.
Das etwas von der Gerbergasse abgerückte, lang gezogene, achtgeschoßige Hochhaus an der Breitenfurter Straße mit den ersten fünf Stiegen überragt deutlich die übrigen viergeschoßigen Gebäude. Die lange Südfassade ist durch sechs doppelte Loggienachsen akzentuiert, die in vom Boden bis zum Dach reichende Mauerrücksprünge eingehängt sind und deren Brüstungen balkonartig vorkragen. Im jeweils anschließenden Mauerintervall ist die mittlere der drei Fensterachsen französisch. In den übrigen Mauerintervallen zwischen den Loggienachsen flankieren zwei französische Fensterachsen zwei kleine Nassraumfensterachsen. Vor allem die nordseitige Eingangsfassade zeigt den unverkennbaren Stil der 1960er-Jahre und präsentiert sich mit farbigen Putzbändern zwischen den paarweise zusammengefassten Fenstern sowie langen Bahnen aus blaugrauen Industrieglaspaneelen, die sich über den Eingangsportalen der fünf Stiegenaufgänge bis zur Dachlinie erstrecken.

Der anschließende viergeschoßige Bau mit fünf Stiegenhäusern liegt näher an der Gerbergasse. Er übernimmt im Wesentlichen die Fassadengliederung der Südseite. Die nördliche Eingangsseite unterscheidet sich durch eine einfachere Gestaltung. Zweiteilige Stiegenhausfenster liegen in einem dunkleren vertikalen Putzband, alle übrigen Fenster sind dreiteilig.

Von den sieben kürzeren Blocks südlich der Gerbergasse sind bei den Gebäuden mit drei Stiegen auf der Südseite zwei dreifache Loggienachsen mit vorkragenden Betonrahmungen in die Mauerrücksprünge eingefügt. Auch die beiden Schmalseiten weisen eine vertiefte Loggienachse auf. An den an der Breitenfurter Straße gelegenen Schmalseiten sind im Erdgeschoß Geschäftslokale untergebracht. Die Blöcke mit vier Stiegen haben außen zwei dreifache Loggienachsen und in der Mitte eine zweifache. Die Nordseiten mit den Stiegenaufgängen sind eher zurückhaltend gestaltet. Ab und zu lockert ein dunklerer vertikaler Putzstreifen über zwei Achsen hinweg die helle Fassade oder ein helleres Putzband die graublaue Fassade auf.

... und die Kunst

An der Gerbergasse befindet sich in der Wiese vor dem höchsten Gebäude der Anlage die frei stehende Reliefwand "Ansicht von Atzgersdorf" von Ferdinand Welz. Diese nimmt auf der Westseite schriftlich und bildlich auf die Zeit der Zerstörung des Ortes durch die Türken und auf die Römerzeit Bezug: Zu dieser Zeit lag der Ort an der Reservestraße von Vindobona nach Aquae (Baden). Auf der Ostseite sind in Großbuchstaben die Errichtungsdaten der Wohnhausanlage eingemeißelt.

In der Wiese gegenüber, Ecke Gerbergasse/Breitenfurter Straße, steht die Plastik "Kinderobelisk" von Rudolf Schwaiger. Sie schichtet stark abstrahierte Kinderfiguren, deren Zahl nach oben hin zunimmt, wie auf einer Stele übereinander. Die Arbeit stellt den menschlichen Körper ähnlich kubisch abstrahiert dar wie die Plastiken von Fritz Wotruba.

Der Name

Der Johann-Radfux-Hof ist nach Johann Radfux (1902-1984), geboren und gestorben in Wien, benannt. Er war seit seinem 18. Lebensjahr Mitglied der SDAP sowie der Freien Gewerkschaften und wurde als 21-Jähriger zum Betriebsratsobmann der Firma Amme-Luther-Seck gewählt, die ursprünglich im Mühlenbau tätig war und während des Zweiten Weltkriegs zu einem Flugzeugbetrieb umfunktioniert wurde. Während der Zeit des Austrofaschismus wiederholt politisch verfolgt, wurde Radfux 1945 Bezirksvorsteher-Stellvertreter von Liesing - als Vorsteher war auf Druck der Russen ein Kommunist eingesetzt worden. Nach den ersten freien Gemeinderatswahlen wurde Radfux 1946 Bezirksvorsteher von Liesing (bis 1954 "25. Bezirk") und erwarb sich in dieser Funktion große Verdienste um den Wiederaufbau und den Ausbau des neuen 23. Bezirks nach 1954.

Architekten

Harald Bauer - Harald Bauer (1901-1990) sammelte zunächst Baupraxis im Büro seines Vaters Leopold Bauer, bevor er von 1926 bis 1928 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Clemens Holzmeister studierte. Nach seinem Studium ging er nach Opava (Mährisch-Troppau), wo er bis 1938 als freischaffender Architekt tätig war. Während des Zweiten Weltkrieges wurden mehrere Industrie- und Militäranlagen nach seinen Entwürfen ausgeführt. Ab 1946 war Bauer als Architekt in Österreich ansässig. Neben mehreren Wohnbauten, die er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften ausführte, plante er auch mehrere Kraftwerksbauten für die Donaukraftwerke A.G., wie etwa das Kraftwerk Wallsee-Mitterkirchen (mit Helmut Hitzginger).

Jakob Zachar - Jakob Zachar (1908-1988) war für die Gemeinde Wien vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Realisierung mehrerer Wohnhausanlagen beteiligt, wie etwa der Wohnhäuser Klausgasse 1-11 in Wien 16 (1954/55) und Franzensbrückenstraße 19 in Wien 2 (1963).

Gerhard Kolbe - Gerhard Kolbe (1922-1992) studierte bis 1949 Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Als selbständiger Architekt war er vor allem in den Bereichen Wohnbau und Gewerbebau tätig. So plante Gerhard Kolbe zuletzt etwa das Fabriksgebäude der Firma Geberit in Pottenbrunn bei St. Pölten (Fertigstellung 1991). Zusammen mit Frank Schläger und Erwin H. Dusl entwarf er für die Gemeinde Wien das Wohnhaus Ottakringer Straße 147 in Wien 16 (1965-1967) und den Wilhelmine-Moik-Hof in Wien 16, Wattgasse 9-11 (1965-1967). Bis zu seiner Pensionierung unterrichtete Gerhard Kolbe zudem 20 Jahre lang an der HTL Krems.

Georg Russwurm - Georg Russwurm (geb. 1926) studierte nach Abschluss einer Maurerlehre bei Franz Schuster an der Akademie der bildenden Künste Wien. Nach der Ziviltechnikerprüfung machte er sich als Architekt selbständig. Neben dem Industrie- und Wohnbau widmete sich Georg Russwurm vor allem auch der Innenarchitektur. Ein besonderes Anliegen war ihm aber der soziale Wohnbau; so entwarf er in den 1970er-Jahren unter anderem die Jugendwohnheime Dr.-Bruno-Buchwieser-Gasse 1 in Mödling (NÖ; vormals Ausbildungszentrum Mödling) und Hanauskagasse 4 in Wien 12. 2002 erhielt er das Goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich.

Josef (Sepp) Schuster - Josef (Sepp) Schuster (1924-1999) studierte zunächst an der Technischen Hochschule Graz, wo er die 1. Staatsprüfung ablegte. Er schloss sein Architekturstudium 1951 mit der 2. Staatsprüfung an der TH Wien ab. Für die Gemeinde Wien war Sepp Schuster unter anderem an den Entwürfen zum Johann-Radfux-Hof in Wien 23, Breitenfurter Straße 184-196 (1960-1962) und zur Schule Hermann-Broch-Gasse in Wien 12 (1967/68) beteiligt. Nach seinen Entwürfen wurden aber auch die Trinitatiskirche in Wien 14, Freyenthurmgasse 20 (1967/68), und die Bekenntniskirche in Wien 22, Erzherzog-Karl-Straße 145-147 (1955/56), errichtet.

Friedrich (Fritz) Grünberger - Friedrich Grünberger (1921-2007) studierte von 1939 bis 1941 an der Akademie der bildenden Künste Wien und besuchte 1946/47 die Meisterklasse von Lois Welzenbacher. 1950 erhielt er die Baumeisterkonzession und war ab 1954 als freischaffender Architekt mit Büros in Wien und Düsseldorf tätig, wobei er sich zunächst vor allem dem sozialen Wohnbau widmete. Mit dem Bau des Alpenbades in Gloggnitz machte er sich einen Namen als Bäderspezialist. In der Folge errichtete er bis in die 1980er-Jahre fast alle modernen Hallen- und Freibäder in Wien, darunter das Hallen- und Freibad im Bundessportzentrum Südstadt und das Kurmittelhaus in Wien-Oberlaa.