Sandleiten: Ein Lokalaugenschein

Die Wohnhausanlage ragt am Fuße des Wilhelminenbergs empor und wird von ihren BewohnerInnen nur liebevoll „die Sandleiten“ genannt. Wo heute diese Ikone des Roten Wien zu finden ist, stand um die Jahrhundertwende eine Kleingartensiedlung. Als Stadt in der Stadt von Architekten in den 1920er-Jahren geplant, ist die Wohnhausanlage am Rande von Ottakring heute ein Ort, wo Kunst und Kultur gelebt werden. Dieses Jahr wird „die Sandleiten“ 90 Jahre alt. Wir gratulieren heute schon und haben uns vor Ort ein bisschen umgesehen.
In die Töpfe geschaut
Eine, die hier ihr halbes Leben verbracht hat, ist die ausgebildete Psychologin und Journalistin Sarah Al-Hashimi. Die Tochter eines Irakers und einer Österreicherin lebt seit ihrem zwölften Lebensjahr hier im Gemeindebau. Zuerst mit ihrer Mutter, später auch mit ihrer Halbschwester und dem Stiefvater, bevor sie als 20-Jährige in eine eigene Wohnung, nur ein paar Stiegen weiter, gezogen ist. Heute arbeitet sie bei der Caritas als Flüchtlingshelferin.
In ihrer Freizeit ist sie begeisterte Filmemacherin. Im Rahmen des Kunst- und Kulturfestivals „SOHO in Ottakring“ drehte sie 2016 im Rahmen des Projekts „So i(s)st Sandleiten“ einen Film über drei MieterInnen beim Kochen, der 2018 beim Wiener Fernsehsender Okto zu sehen sein wird. Ihre Dokumentation gewährt einen detaillierten Einblick in die Gemütslage und die Probleme der BewohnerInnen. Zwischen alteingesessenen MieterInnen und BewohnerInnen mit Migrationshintergrund kommt es das ein oder andere Mal auch zu Spannungen. Sarah Al-Hashimi ist es wichtig, auf die gegensätzlichen Lebenssituationen hier im Sandleitenhof hinzuweisen und sie zu dokumentieren.
„Wenn ich eine größere Wohnung mit Balkon bekomme, dann werde ich vermutlich in 20 Jahren auch noch hier wohnen! - Sarah Al-Hashimi

Die Kunst der Suppe
Die Künstlerin Ula Schneider, die Initiatorin von SOHO in Ottakring, hat 2013 in einem 45 m² großen Geschäftslokal eine Heimat für ihr Kunstprojekt gefunden. Mit BewohnerInnen werden im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Heuschnitt“ einmal pro Monat KünstlerInnen eingeladen, die ihre Werke in der Wohnhausanlage dem Publikum präsentieren können.
„Man muss die Leute hier direkt ansprechen, um sie für Kunst zu begeistern!“, weiß die Kulturvermittlerin. 2015 hat sie beispielsweise „Suppengespräche“ initiiert, bei denen sich MieterInnen gegenseitig bekocht haben.
Kunst schafft auch immer eine neue Perspektive auf Dinge!" - Ula Schneider

Eine von ihnen war die Mieterbeirätin Eveline Schmelz. „Ich habe eine chinesische Suppe gekocht. Das war super, da waren sehr viele Leute und es hat allen geschmeckt!“ Sie und ihr Ehemann wohnen seit 20 Jahren im Sandleitenhof. Seit 2004 setzt sie sich für die Interessen der MieterInnen ein.
„Wir organisieren in unserem Hobbyraum Halloweenfeste. Hier können die Kinder tanzen. Wenn es Probleme gibt, vermitteln wir und leiten Anliegen an Wiener Wohnen weiter.“ Sie betreuen auch die Bücher KABINE am Matteottiplatz, wo BewohnerInnen gratis Bücher entlehnen können.
Es gibt sehr schöne Bankerln bei uns am Matteottiplatz, da kommt man mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern aus allen Nationen zusammen." - Eveline Schmelz

Entfaltung für alle
Ein paar Schritte weiter, in der ehemaligen Apotheke, hat die Kunstschule Wien gerade ihr Quartier bezogen. Heute haben hier die Werkstätten Malerei und Comic Unterricht. Es stehen Staffeleien im großen Atelier, hier wird gemalt, entworfen, gedruckt und getextet. Das Konzept der Kunstschule Wien ist es, Menschen, die nicht die Aufnahmekriterien einer Universität erfüllen, die Möglichkeit zu geben, sich künstlerisch im Rahmen eines akkreditierten Curriculums zu entfalten. Ein einzigartiges Konzept in Österreich.
Hier malen 20-Jährige neben PensionistInnen, jede und jeder in seinem eigenen Stil und in seinem eigenen Tempo. Es kommt auch schon mal vor, dass neugierige MieterInnen durch die Fenster schauen, um zu sehen, was die KünstlerInnen hier so machen.
Das ist für Eliane Huber Irikawa, die Präsidentin des Vereins, aber kein Problem. „Die Türen bei uns stehen immer für alle offen. Wenn wer vorbeischaut, dann zeigen wir auch gerne her, was hier passiert.“ Den MieterInnen gefällt es. Und 2018 können sie auch offiziell her- einschnuppern. Denn dann findet der Tag der offenen Tür statt.
Wir planen einen Tag der offenen Tür, da gibt es sicher viel Kontakt zu den Mieterinnen und Mietern.“ - Eliane Huber Irikawa