Sigmund-Freud-Hof
Sigmund-Freud-Hof
Gussenbauergasse 5-7, 1090 WienBaujahr: 1924-1931
Wohnungen: 258
Architekt: Josef Tölk, Franz Krauß, Ludwig Tremmel
Weitere Adressen
Tepserngasse 2, 1090 Wien
Nordbergstraße 14-18, 1090 Wien
Wasserburgergasse 1-3, 1090 Wien
Wohnen in Wien
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Wiener Rathaus. 1922 wurde Wien ein selbstständiges Bundesland. Damit war auch der Grundstein für das "Rote Wien" gelegt. Neben Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen wurde 1923 ein umfangreiches Bauprogramm gestartet, um für die Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen - hell, trocken, mit Wasserleitung und WC ausgestattet, waren sie ein krasser Gegensatz zu den Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen. Wesentlicher Teil der Anlagen waren Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Kindergärten, Waschküchen, Mütterberatungsstellen, Ambulatorien, Tuberkulosestellen, Turnhallen, Bibliotheken etc. Die Stadt Wien errichtete in der Zwischenkriegszeit 63.000 Wohnungen.
Geschichte
Die Anlage wurde in zwei Bauphasen errichtet: Mitte der 1920er-Jahre planten Franz Krauss und Josef Tölk drei Trakte rund um einen Innenhof; 1931 wurde dieser durch einen Bauteil, den Ludwig Tremmel konzipierte, zum Franz-Josefs-Bahnhof hin geschlossen. Der Bau wies Kleinwohnungen verschiedenen Typs auf und war mit drei Geschäftslokalen, einer Volksbibliothek, einem Zahnambulatorium, einem Kindergarten, drei Künstlerateliers mit Nebenräumen, einer zentralen Bade- und Waschanstalt sowie in jedem Dachgeschoß einer Waschküche ausgestattet. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz.
Die Architektur
Die blockartige Verbauung des trapezförmigen Grundstücks erfolgte zunächst durch einen zungenförmigen Hoftrakt sowie drei an der Straße geführte Doppeltrakte um einen großen Innenhof. Die insgesamt neun Häuser werden alle vom Hof und der Straße aus erschlossen. Die Straßenfassaden der Wohnhausanlage orientieren sich an den Baulinien der benachbarten Häuser: An das Eckhaus Wasserburgergasse anschließend, wurden sechs Geschoße errichtet und somit die Gesimshöhe beibehalten. Dieser Bauteil schließt mit einem turmartigen Aufbau, der eine verglaste Atelierwohnung beherbergt, ab. Auf der anderen Seite wurde ein Trakt mit fünf Geschoßen ausgeführt. Ähnlich ist die Gestaltung an der Ecke Gussenbauergasse/Tepserngasse, sodass die am reichsten gestaltete Fassade, nämlich jene zum Donaukanal, von zwei Ecktürmen umrahmt wird. Als verbindendes Element durchlaufen Gesimsbänder die unterschiedlich hohen Gebäudetrakte. Die Fassaden zeigen expressionistische Gestaltungsformen, die Stiegenhäuser und Hofeingänge werden durch spitze Vorbauten betont. Die originale Farbgebung dürfte diesen Effekt noch verstärkt haben: Die glatten Wandflächen waren in hellgrauer, Erdgeschoß, Fensterumrahmungen und Gesimse in gelber und die spitz hervortretenden Stiegenhäuser und Hofeingänge in grellroter Farbe gehalten. Auffallend an der Schauseite sind die spitzen Vorbauten der Loggien sowie die blockhafte Stereometrie, die den Einfluss von Otto Wagner deutlich macht. Im Hoftrakt wurde mit Rücksicht auf die große Breite des Hofes das Dachgeschoß größtenteils ausgebaut, sodass auch hier sechs vollwertige Geschoße übereinanderliegen. Der in einer zweiten Bauphase realisierte Trakt zur Nordbergstraße schließt nahtlos an die früher errichteten Gebäude an. Die Architektur setzt sich allerdings sehr deutlich von diesen ab: Zwar verfügt auch der zum Franz-Josefs-Bahnhof weisende Trakt über Gebäudeteile mit unterschiedlicher Geschoßanzahl und die Fassade springt mehrfach vor und zurück, indem die Stiegenhäuser davorgestellt wurden. Doch insgesamt ist die Gestaltung äußerst sparsam, geradezu karg. Insbesondere die ansonsten glatte Hoffassade mit ihren größeren, tief eingeschnittenen Fenstern und Gitterbalkonen geht späteren Entwicklungen voraus. Seit der zuletzt erfolgten Sanierung stechen die beiden Bauphasen durch unterschiedliche Farbgebung der Fassaden noch mehr ins Auge. Für den Architekten Ludwig Tremmel war diese Arbeit die letzte der zahlreichen von ihm errichteten Wohnhausanlagen.
... und die Kunst
An der Außenfassade finden sich vier figurale Steinskulpturen (Putti) von Arthur Kaan (1925).
Der Name
Der 1856 in Mähren geborene Neurologe und Psychiater Sigmund Freud war Begründer der Psychoanalyse. Seine Wohnung und Ordination befanden sich im 9. Bezirk, Berggasse 19, nahe des heutigen Sigmund-Freud-Hofes. Von den Nazis verfolgt, musste Freud 1938 nach London emigrieren, wo er 1939 verstarb. Eine Gedenktafel im Hauseingang erinnert an ihn.
Prominente Bewohner
Der akademische Maler Heinrich Krause (1885-1983) hatte hier in den 1930er-Jahren sein Atelier.Ab 1925 lebte der 1902 in Wien geborene Schriftsteller Fritz Rosenfeld in diesem Gemeindebau. Auf seinem Meldezettel findet sich statt einer Abmeldung der Verweis: "seit den Februar-Unruhen flüchtig". Rosenfeld starb 1987 in Großbritannien.
Architekten
Josef Tölk - Josef Tölk (1861-1927) studierte von 1880 bis 1883 an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo er die Meisterschule von Theophil Hansen besuchte. Seit 1894 war Tölk in einer Arbeitsgemeinschaft mit Franz Krauß tätig. Bis 1914 errichteten sie neben zahlreichen Wohnbauten auch Theater, Cafés, Fabriksgebäude und mehrere Heilanstalten (im Auftrag der Familie Rothschild). Nach dem Ersten Weltkrieg blieben die großen Aufträge allerdings aus. Es entstand der Sigmund-Freud-Hof in Wien 9 und ein Abschnitt des Sandleiten-Hofes in Wien 16 nach den Plänen von Krauß & Tölk.
Franz Krauß - Franz Krauß (1865-1942) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien bei den großen Architekten der Ringstraße: Carl von Hasenauer und Friedrich von Schmidt. 1894 machte er sich selbständig und gründete wenig später eine Arbeitsgemeinschaft mit Josef Tölk. Krauß realisierte vor allem Theaterprojekte und war auch am Bau der Wiener Volksoper (1898/99) beteiligt. 1934 bewies Krauß besondere Haltung: Aus Protest gegen die Verhaftungen und Hinrichtungen der Februarkämpfe trat er von allen öffentlichen Ämtern zurück und verweigerte die Annahme einer Auszeichnung durch den Ständestaat.
Ludwig Tremmel - Ludwig Tremmel (1875-1964) studierte bis 1898 an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo er die Meisterschule von Viktor Luntz absolvierte. Er erhielt zunächst eine Anstellung als Architekt bei der Niederösterreichischen Statthalterei, für die er eine Reihe von Großprojekten realisierte. Eines seiner frühen Bauwerke in Wien ist das repräsentative Gebäude des Hygieneinstituts der Universität Wien in Wien 9 (Kinderspitalgasse 15, 1905/08). Von 1907 bis 1918 war er Lehrer an der deutschen Staatsgewerbeschule in Pilsen (Böhmen), wo er auch eine große Anzahl von Wohn- und Geschäftshäusern realisierte. Zurück in Wien lehrte er bis 1939 an der technisch-gewerblichen Bundeslehranstalt.