Mobile Version aus nicht mehr nachfragen

Jean-Jaures-Hof

Fakten

Jean-Jaures-Hof

Neilreichgasse 105, 1100 Wien

Baujahr: 1925-1926

Wohnungen: 384

Architekt: Walter Broßmann, Alfred Keller

Weitere Adressen

Migerkastraße 9-11, 1100 Wien

Raxstraße 10-12, 1100 Wien

Wohnen in Wien

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Wiener Rathaus. 1922 wurde Wien ein selbstständiges Bundesland. Damit war auch der Grundstein für das "Rote Wien" gelegt. Neben Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen wurde 1923 ein umfangreiches Bauprogramm gestartet, um für die Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen - hell, trocken, mit Wasserleitung und WC ausgestattet, waren sie ein krasser Gegensatz zu den Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen. Wesentlicher Teil der Anlagen waren Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Kindergärten, Waschküchen, Mütterberatungsstellen, Ambulatorien, Tuberkulosestellen, Turnhallen, Bibliotheken etc. Die Stadt Wien errichtete in der Zwischenkriegszeit 63.000 Wohnungen.

Geschichte

Die Architekten Walter Brossmann und Alfred Keller erhielten 1925 den Auftrag zur Planung dieses Volkswohnhauses. Das entwickelte Konzept umfasste neben Wohneinheiten einen Kinderhort, zwei Geschäftslokale, eine Gaststätte sowie eine zentrale Waschküche. Der repräsentativ wirkende Gebäudekomplex entstand in den Jahren 1925/26 auf unverbautem Terrain in unmittelbarer Nachbarschaft zu ausgedehnten Schrebergartensiedlungen.

Die Architektur

Der frei stehende, mächtige Wohnblock an der Kreuzung Raxstraße-Neilreichgasse-Migerkastraße-Rudolfshügelgasse besteht aus einer vierseitigen Blockrandverbauung mit einem mittig gesetzten Quertrakt, der den weitläufigen Innenhof in zwei gleich große Flächen teilt. Eine parallel zur Raxstraße verlaufende Durchfahrt erschließt die Innenhöfe. Die Gebäude sind fünf- bis sechsgeschoßig mit straßenseitig kräftig ausgebildeten Risaliten und steilen Walmdächern. Die Außenerscheinung wird geprägt von einer mehrfach zurückgestuften, höhenmäßig differenzierten Fassade mit klarer, rasterartiger Gliederung: horizontal durch regelmäßige Fensterverteilung und eine geschoßtrennende Profilierung, vertikal durch dreiseitig vorspringende Erker, Risalite sowie eine abgestufte Dachlandschaft mit Gaupen. An den Risaliten wurden 1997 Aufzugstrakte angebaut und mit Froschmaulfenstern in der Dachzone versehen. An beiden Eingangsseiten (Rudolfshügelgasse und Neilreichgasse) sind die Portale aufwändig gestaltet. Die rundbogige Durchfahrt erhält durch ein Kassetten geschmücktes Tonnengewölbe monumentalen Charakter. Die einzelnen Stiegen sind von den begrünten Innenhöfen aus zu begehen und zeigen - wie der gesamte Bau - qualitätsvoll gestaltete Details wie schmiedeeiserne Gitter oder Vordächer in Jugendstilform. Das Herzstück der Anlage bilden die beiden längsrechteckigen Innenhöfe und deren üppige Bepflanzung. Im Innenhof an der Seite zur Neilreichgasse befindet sich ein Kinderhort, architektonisch durch Absenkung ins Souterrain und durch große Rundbogenfenster mit darüber liegender Terrasse hervorgehoben. Der große Spielplatz davor ist vertieft angelegt und durch einen Zaun geschützt. Ein ursprünglich dem Spielplatz gegenüberliegendes Kinderbad wurde in den 1970er-Jahren zugeschüttet und zu einer Ruhezone umgestaltet.

... und die Kunst

Die schmiedeeisernen Torgitter an den Toren der Durchgänge sind mit dem Monogramm GW (Gemeinde Wien) versehen.

Der Name

Die Wohnhausanlage ist nach dem Pazifisten Jean Jaurès (1859-1914) benannt. Der Führer der französischen Sozialisten wurde kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges in einem Pariser Kaffeehaus erschossen.

Architekten

Walter Broßmann - Walter Broßmann (1882-1948) studierte bei Friedrich Ohmann an der Wiener Akademie der bildenden Künste, wo er 1919 promovierte. Gemeinsam mit Alfred Keller plante er zwei Gemeindebauten für das Rote Wien: den Jean-Jaurès-Hof (Wien 10) und den Anton-David-Hof (Wien 16). In Linz wirkte er ab 1937 bei der Planung der Großfeldsiedlung Kaplanhof mit. Nach Kriegsende übernahm Broßmann 1945 die provisorische Leitung des Hochbauamtes in Linz, die er bis zu seinem Tod innehatte.

Alfred Keller - Alfred Keller (1875-1945) studierte Architektur an der Technischen Hochschule Graz. Ab 1908 war er als viel beschäftigter Architekt in Wien tätig. Einen Höhepunkt im Werk des Architekten, Malers und Graphikers stellt die Hochschule für Welthandel (Franz-Klein-Gasse 1, Wien 19) dar. 1930 erhielt er eine Professur für Gebäudelehre an der Technischen Hochschule Wien.