Wattgasse 88
Wattgasse 88
Wattgasse 88, 1170 WienBaujahr: 1928-1929
Wohnungen: 65
Architekt: Wilhelm Schön, Karl Schön
Weitere Adressen
Nesselgasse 3, 1170 Wien
Rötzergasse 83, 1170 Wien
Wohnen in Wien
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs wurde die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Wiener Rathaus. 1922 wurde Wien ein selbstständiges Bundesland. Damit war auch der Grundstein für das "Rote Wien" gelegt. Neben Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen wurde 1923 ein umfangreiches Bauprogramm gestartet, um für die Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen - hell, trocken, mit Wasserleitung und WC ausgestattet waren sie ein krasser Gegensatz zu den Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen. Wesentlicher Teil der Anlagen waren Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Kindergärten, Waschküchen, Mütterberatungsstellen, Ambulatorien, Tuberkulosestellen, Turnhallen, Bibliotheken etc. Die Stadt Wien errichtete in der Zwischenkriegszeit 63.000 Wohnungen.
Geschichte
Das Grundstück ging bereits 1903 in den Besitz der Gemeinde Wien über. Diese vermietete zunächst Teile davon, 1919 befand sich eine Werkstatt in der Nesselgasse. Auch die Österreichische Länderbank war ein Pächter. 1928 wurde mit dem Bau der Wohnanlage begonnen. Diese war bereits ein Jahr später bezugsfertig. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der obersten Stockwerke und das Dach auf Stiege IV zerstört, der Schaden konnte aber zwischen 1947 und 1949 behoben werden. Durch das nachträgliches Einbauen von Sanitäranlagen und andere Verbesserungen stieg der Wohnkomfort bis heute kontinuierlich an.
Die Architektur
Die Anlage schließt sich U-förmig um einen begrünten Straßenhof, der zur Nesselgasse hin offen ist. Hier befinden sich auch die Eingänge zu den fünf Stiegen. Bei dieser Wohnanlage handelt es sich um ein Spätwerk der erfahrenen Architekten Karl und Wilhelm Schön, die bei verschiedenen Projekten erfolgreich dem Wiener Secessionismus nacheiferten. Die Fassade zur Wattgasse erstreckt sich über drei gleich große Trakte. In der Sockelzone des Mitteltraktes ist eine Geschäftszone mit rundbogigen Türen und Auslagen untergebracht. Darüber befinden sich die Balkone der drei Hauptwohngeschoße, die etwas zurückversetzt sind. Die geschlossene Verbauung wird dadurch etwas aufgelockert. Mittig befindet sich auf allen drei Trakten jeweils ein dominanter Dacherker. An den Flanken der Seitentrakte sind jeweils zwei weit ausgreifende Erker von der Sockelzone bis zum Hauptgesims der Fassade vorgelagert. Ein Zwischengesims unterhalb der Fenster des ersten Wohngeschoßes zieht sich über die gesamte Außenwand. Der zur Nesselgasse gelegene Hof ist sehr repräsentativ und erinnert an einen Ehrenhof. Auch hier dominieren Erker und Dachaufbauten. Die Fassade im Innenhof zeigt interessante blockhafte Wandvorlagen zwischen den Geschoßen und unterscheidet sich deutlich von den Straßenfassaden. Diese Anlage steht teilweise romantisierendem Jugendstil nahe, weist aber andererseits einige expressionistische Elemente auf.
Der Name
Die Wattgasse wurde 1884 nach dem englischen Erfinder der Niederdruckdampfmaschine James Watt (1736 bis 1819) benannt. Watt gründete gemeinsam mit dem Unternehmer Boulton die Dampfmaschinenfabrik Boulton&Watt bei Birmingham. Von dort aus trat die Dampfmaschine ihren Siegeszug durch die ganze Welt an und trug als ein wesentlicher Faktor zur Industrialisierung und dem Beginn des Industriezeitalters bei.
Architekten
Wilhelm Schön - Wilhelm Schön (1880-1946) studierte von 1913 bis 1915 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Josef Bauer. Zusammen mit seinem Bruder Karl Schön arbeitete er vor dem Ersten Weltkrieg sehr erfolgreich an Wohn-, Geschäfts- und Kaufhäusern in ganz Wien. Das Mietshaus Albertgasse 10 in Wien 8 ist als selbständige Arbeit von ihm gesichert. In Wien entwarf er zuletzt mit seinem Bruder die kommunalen Wohnanlagen in der Wattgasse 88 (XVII. Bezirk, 1928) und in der Gersthofer Straße 75-77 (XVIII. Bezirk, 1930/31).
Karl Schön - Karl Schön (1875-1955) besuchte zunächst die Staatsgewerbeschule in Brünn und im Anschluss daran vermutlich die private "Loos-Schule". Genaueres über seine Ausbildung ist allerdings nicht bekannt. Ab 1906 war Karl Schön in Wien tätig, wo er mit seinem Bruder Wilhelm Schön eine Bürogemeinschaft einging. Aus dieser Zusammenarbeit entstanden in ganz Wien zahlreiche dem Jugendstil verpflichtete Wohn-, Geschäfts- und Kaufhäuser. Während des Ersten Weltkrieges musste das Büro jedoch wegen mangelnder Aufträge geschlossen werden. In den folgenden Jahren entstanden in Wien nur noch die beiden kommunalen Wohnanlagen in der Wattgasse 88 (Wien 17, 1928) und in der Gersthofer Straße 75-77, (Wien 18, 1930/31).