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Jedleseer Straße 79-95

Fakten

Jedleseer Straße 79-95

Jedleseer Straße 79-95, 1210 Wien

Baujahr: 1949-1955

Wohnungen: 1246

Architekt: Heinrich Schmid, Lois Welzenbacher, Richard Pfob, Norbert Mandl, Leo Nikolaus Bolldorf, Hermann Aichinger

Weitere Adressen

Amperegasse 1-11, 1210 Wien

Frauenhofergasse 1-5, 1210 Wien

Christian-Bucher-Gasse 18, 1210 Wien

Amperegasse 2-16, 1210 Wien

Coulombgasse 1-15, 1210 Wien

Christian-Bucher-Gasse 8-12, 1210 Wien

Schulzgasse 18-20, 1210 Wien

Coulombgasse 2-10, 1210 Wien

Ohmgasse 2-12, 1210 Wien

Maxwellgasse 1-7, 1210 Wien

Ohmgasse 1-9, 1210 Wien

Wohnen in Wien

Ab 1949 war der Wohnbau zahlenmäßig wieder auf dem Niveau des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit. Doch noch war die Bevölkerung verarmt und oft obdachlos. Kleine Duplex-Wohnungen, die später zusammengelegt werden konnten, linderten schließlich die Wohnungsnot. 1951 wurde Franz Jonas, Sohn einer Arbeiterfamilie, Bürgermeister von Wien. In seine Amtszeit fiel die rege Bautätigkeit im Rahmen des Projektes "Sozialer Städtebau" ab 1952. Das 8-Punkte-Programm hatte die Trennung von Wohn- und Gewerbebereichen, eine Auflockerung der Wohnbereiche sowie die Assanierung einzelner Viertel zum Ziel. Die standardmäßige Ausstattung der Wohnungen wurde verbessert - alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.

Geschichte

Die Siedlung liegt nahe dem Jedleseer Aupark und der Donau. Ein Gebiet, welches vor der Donauregulierung häufig von Überschwemmungen heimgesucht und deshalb nur zögerlich besiedelt wurde. Während des Zweiten Weltkrieges war das Areal - wie ganz Floridsdorf als Industriestandort und letzter Stützpunkt der nationalsozialistischen Wehrmacht in Wien - stark von Kriegseinwirkungen betroffen. Nach 1945 befanden sich hier einige niedrige Wohnhäuser mit Lokalen in Privatbesitz. Die nicht sanierungswürdigen Objekte wurden abgetragen. Die Baubewilligung für den ersten der drei Bauabschnitte der heutigen Wohnanlage wurde 1949 erteilt. Bis 1955 waren alle drei Abschnitte fertiggestellt und die Anlage konnte den Benutzern übergeben werden. Die über 1000 hier geschaffenen Wohnungen trugen wesentlich zur Linderung der Wohnungsknappheit bei. In der Anlage befanden sich von Anfang an auch ein Kindergarten (Architekt: Dipl.-Ing. Alexander Kratky) und eine Volksschule (Architekt: Prof. Friedrich Lehmann). Eine Sonderschule wurde 1963 von Dipl.-Ing. Elise Sundt entworfen und zugebaut.

Die Architektur

Das Areal der Siedlung Jedlesee ist sehr weitläufig. Die Siedlung ist großflächig und in Rastern angelegt. Wie für viele Anlagen aus den 1950er-Jahren typisch, erinnert die Architektur an den eher handwerklich orientierten Stil der Vorkriegsbauten. Der Komplex gleicht in seiner Anlage und Ausgestaltung anderen Großsiedlungen wie der nahe gelegenen Siedlung Siemensstraße (XXI., 1950) oder der Per-Albin-Hansson-Siedlung West (X., Favoritenstraße, 1947) und war die erste kommunale Wohnsiedlung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die großteils zwei- bis dreistöckigen Häuser sind vielfach zu langen Zeilen gekoppelt. Die Fassaden sind schlicht. Einzelne Zonen, vor allem über den Eingangsbereichen, sind durch unterschiedliche Gestaltung - tiefer gelegene Wandfelder, Fensterformen, Erker, Risalite - hervorgehoben und individualisieren die sonst uniformen Reihenhäuser. Die Hauptgesimse sind zumeist durchgängig. Auf manchen Giebeldächern befinden sich Aufbauten. Den sechs mit der Planung beschäftigten Architekten wurden jeweils bestimmte Bereiche der Anlage zugeordnet. So konnte eine abwechslungsreichere Fassadengestaltung erreicht werden. Nach Nordwesten hin nimmt die Höhe der Blöcke kontinuierlich ab und die architektonische Vielfalt zu. Bullaugenfenster und durchnutete Einschübe lockern etwa das Fassadenbild in der Teslagasse. Die Bewohner in diesem Bereich der Anlage verfügen teils über Gärten. Die zwischen den Wohnhäusern gelegenen Gassen und Plätze sind aber auch sonst üppig begrünt und von Rasenflächen und Aufenthaltszonen durchsetzt. Gänzlich anders konzipiert sind die hohen, meist fünfgeschoßigen Trakte entlang der Jedleseer Straße und Frauenhofergasse. Das "Mutterhaus" mit dem Haupteingang befindet sich in der Jedleseer Straße. Diese Trakte sind in geschlossener Bauweise ausgeführt und schirmen die Anlage nach Norden hin und zu der verkehrsreichen Seite des Viertels ab. Auch hier sind die Fassaden schlicht. Einige Balkone liegen zu den Straßenseiten hin. Die hohen Trakte entlang der Frauenhofergasse sind zueinander versetzt. Die Hofansicht ist geprägt von Schächten der Stiegenanlagen mit voluminösen Dachaufbauten. Höhendifferenzierungen, Risalite und Erker lockern das Fassadenbild auch an dieser Seite auf. Insgesamt bietet die Anlage vor allem durch ihre großen zonierten Grünanlagen hohe Wohnqualität. Individualisierende Fassadenelemente verleihen den Reihenhäusern, insbesondere an der nordwestlichsten Seite, idyllischen Charme.

... und die Kunst

Die Siedlung verfügt über eine äußerst reichhaltige, künstlerische Ausgestaltung bestehend aus Keramiken, Kacheln, Reliefs, Sgraffiti, Mosaiken und Emailarbeiten mit figuralen, ornamentalen oder tierischen Darstellungen. Diese sind an beinahe jedem Stiegenzugang angebracht und dienen auch als optisches Leitsystem. Sie stammen von den Künstlern Gertrud Angerer (Sonnenblume, Königskerze, Taubnessel, Stier, Krebs, Fisch, Lurch), Theobald Schmögner (Spatzen, Katze, Streithähne), Erich Hubert (Biber, Fischotter), Elisabeth Turolt (Gänse, Ziegen, Kröte), Margarete Hanusch (Schiffer, Schiffsbauer, Schiffersfrau), Gertrud Conrad (Zwillinge, Wassermann), Gustav Jekel (Siedlerin, Fischer), Edmund Reitter (Maurer, Arbeiter mit Pressluftbohrer), Ingeborg Keppler (Skorpion), Alfons Riedel (Frosch, Krebs, Eidechse), Ludwig Schmidle (Dockarbeiter, Wasserträgerin, Brückenbauer), Karl Nieschlag (Füchse, Hasen, Eichkätzchen), Herbert Schütz (Schlosser-, Tischler- Zimmermannswerkzeuge), Oskar Thiede (Himmelsgestirne, Jungfrau), Hugo Kirsch (Seeadler, Wiedehopf, Kiebitz), Josef Schagerl (Schwein, Enten, Dackel), Margarete Bistron-Lausch (Käuzchen, Fischreiher), Rudolf Beran (Hund, Hirsch, Reiher, Eber), Karl Perl (Möwen, Rohrdommel), Elfriede Jarosch-Laurenbach (Glockenblume, Rittersporn, Löwenzahn), Heinrich Deutsch (Tierkreiszeichen Löwe und Fische), Karl Pehatschek (Kleingärtner, Baumsetzer, Kleingärtnerin), Ernst Wenzelis (Kleingarten, Jagd und Fischfang), Oskar Thiede (Jugend im Fußballspiel, Winterfreuden), Elisabeth Eisler (Steinbock, Waage), Maria Schwammberger-Riemer (Frosch, Krebs, Karpfen, Hecht, Wels), Edmund Reitter (Hirschkäfer, Schnecke, Kohlröserl), Georg Samwald (Maurer, Zimmermann, Schlosser), Robert Obsieger (Wiesel, Hirsch, Hirschkuh), Annelie Minkus (Köchin, Frau mit Kind, Näherin), Hertha Bucher (Hahn, Ente), Ilse Pompe (Distel, Löwenzahn, Schilfrohr), Eduard Robitschko (Biene, Eule, Hähne, Heuschreck), Rudolf Fänner (Kormoran, Rohrdommel, Huchen), Florian Josephou (Paradeiser, Kürbis, Gurken), Rudolf Schwaiger (Raben, Stier, Bootfahrer; Mosaik: Ziegenbock), Ernst Schrom (Arbeiterin, Mutter, Hausfrau). In der Bellgasse befinden sich die beiden Skulpturen "Symbole der Familie" von Hermann Walenta (1964) und "Rastende" von Gottfried Buchberger (1965). Die Plastik "Lastenträger" bei der Stiege 45 stammt von Ludwig Schmidle. Über die Ecke eines Blockes zur Jedleseer Straße hin (auf der Höhe Nummer 87) zieht sich das Sgraffitowandbild "die vier Jahreszeiten" von Leopold Schmid.

Der Name

Die Anlage trägt den Namen "Siedlung Jedlesee" - wie die 1901 benannte Jedleseer Straße - zur Wahrung der Ortsbezeichnung Jedlesee. Die ehemals selbstständige Ortsgemeinde Jedlesee war 1894 mit Floridsdorf, Neu-Jedlersdorf und Leopoldau zur "Großgemeinde Floridsdorf" zusammengeschlossen worden. Jedlesee war das älteste jener Dörfer, die 1904 schließlich zum XXI. Bezirk zusammengefasst und nach Wien eingemeindet wurden. Der Ort wurde urkundlich bereits 1014 als "Outcinessevve" erwähnt, auch die Bezeichnungen "Utzinsee" und "Utzessee" sind bekannt. Der Name steht einerseits in Beziehung zu den Nahen Donaugewässern, andererseits mit dem Namen Utzi, einer Form von Ulrich, vermutlich der Name des Dorfbegründers.

Architekten

Heinrich Schmid - Heinrich Schmid (1885-1949) studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er die Meisterschule Otto Wagners besuchte. 1912 eröffnete er mit seinem Studienkollegen Hermann Aichinger ein gemeinsames Atelier in Wien, das bald zu einem der führenden Architekturbüros der Zwischenkriegszeit wurde. Neben zahlreichen Wohnhausanlagen wie etwa dem Rabenhof (Wien 3) und dem Julius-Popp-Hof (Wien 5) wurden auch das Hanusch-Krankenhaus (Wien 14, Heinrich-Collin-Straße 30) und das Österreichische Verkehrsbüro (Wien 1, Friedrichstraße 7) nach ihren Entwürfen errichtet.

Lois Welzenbacher - Lois Welzenbacher (1889-1955) besuchte zunächst die Staatsgewerbeschule in Wien und arbeitete als Zeichner in verschiedenen Architekturbüros in München, bevor er von 1912 bis 1914 Architektur an der Technischen Hochschule in München studierte. Ab 1918 war er als freischaffender Architekt in Innsbruck ansässig, ab 1931 in München. Welzenbacher realisierte zahlreiche Einfamilienhäuser, aber auch Industrie- und Gewerbebauten, mit denen er bald zum bedeutendsten österreichischen Architekten der Moderne in der Zwischenkriegszeit avancierte (1932 Teilnahme an der Ausstellung "International Style" in New York). Zu seinen wichtigsten Bauwerken zählen das Turmhotel Seeber in Hall in Tirol (1930/31) und die in Zell am See (OÖ) erbauten Landhäuser Buchroithner (Schmittengraben, 1928-1930) und Heyrovsky (Thumersbach, 1932). Ab 1947 lehrte er als Professor an der Akademie der bildenden Künste in Wien.

Richard Pfob - Richard Pfob (1903-1985) studierte von 1924-1927 bei Karl Holey, Max Theurer und Siegfried Theiß an der Technischen Hochschule Wien. 1931 promovierte er zum Thema "Bauten für den Olympischen Sport". Pfob arbeitete selbständig oder in Partnerschaft mit Hans Petermaier, mit dem er vorwiegend Industrie- und Gewerbebauten errichtete.

Norbert Mandl - Norbert Mandl (1911-2001) studierte Architektur an der Technischen Hochschule Wien, wo er 1936 auch promovierte. Für die Gemeinde Wien entwarf er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften mehrere Wohnhausanlagen in den 1950er- und 60er-Jahren, wie etwa die Anlage Zeillergasse 39-43 in Wien 17 (1957/58) und der Karl-Frey-Hof in Wien 15, Hütteldorfer Straße 81a (1953/54). Das 1981 bis 1983 errichtete Wohnhaus Apostelgasse 35 in Wien 3 entstand als eigenständige Arbeit von Norbert Mandl.

Leo Nikolaus Bolldorf - Leo Nikolaus Bolldorf (1910-1991) besuchte von 1930 bis 1933 die Meisterschule von Peter Behrens an der Akademie der bildenden Künste Wien und im Anschluss für ein Jahr die Meisterklasse von Oskar Strnad an der Wiener Kunstgewerbeschule. Ab 1935 war er als selbständiger Architekt tätig, wobei er mit seiner Frau Martha Reitstätter-Bolldorf vor allem verschiedenste Aufträge für die christlich-soziale Bundesregierung und für die Stadt Wien ausführte (Notkirchen, Kasernenbauten, Siedlungsanlagen). Nach geleistetem Kriegsdienst arbeitete Bolldorf ab 1945 wieder als Architekt und wurde Lehrer, später Direktor, an der HTBLVA Krems. Von 1969 bis 1980 war er Direktor der HTBLVA Wien 1.

Hermann Aichinger - Hermann Aichinger (1885-1962) studierte - ebenso wie sein späterer Arbeitskollege Heinrich Schmid - an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Otto Wagner. Das 1912 gegründete Architekturbüro Schmid & Aichinger war das meistbeschäftigte des Wohnbauprogramms des "Roten Wien". Auch in den späten 1930er- und in den 1940er-Jahren erhielt das Büro noch prestigeträchtige Aufträge. In dieser Zeit entstanden unter anderem das Wohn- und Geschäftshaus "Bärenmühle" (Wien 4, Operngasse 18-20) und das RAVAG-Gebäude (Wien 4, Argentinierstraße 30a; gemeinsam mit Clemens Holzmeister).