Engerthstraße 237
Engerthstraße 237
Engerthstrasse 237, 1020 WienBaujahr: 1959-1960
Wohnungen: 385
Architekt: Siegfried Mörth, Erich Boltenstern, Erich Schlöss, Josef Wöhnhart, Walter Gindele, Alfred Wanko, Franz Schuster
Weitere Adressen
Engerthstraße 237B, 1020 Wien
Engerthstraße 237A, 1020 Wien
Lößlweg 1, 1020 Wien
Machstraße 4, 1020 Wien
Handelskai 222-224, 1020 Wien
Wohnen in Wien
In den 1950er-Jahren ging es vor allem darum, Zerstörtes wieder aufzubauen und viele neue Wohnungen zu errichten. In den kommunalen Wohnbauten dieser Zeit finden sich die ersten Ansätze der sich später durchsetzenden Zeilenbauweise, die bis heute die großen Vorstadtsiedlungen prägt. Die Wohnbauten wurden größer, höher und waren verstärkt in Blockform gestaltet. Das Flachdach setzte sich durch. Alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern und WC ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.
Geschichte
Durch die latente Hochwassergefahr war eine Besiedelung der Gegend, in der sich die Wohnhausanlage befindet, über Jahrhunderte hinweg unmöglich. Erst mit der Donauregulierung 1870-1875 gewann man etwas Kontrolle über den Strom. Damit war die Möglichkeit zur Industrialisierung eröffnet - ein für die wirtschaftliche Entfaltung der Donaumonarchie höchst bedeutsamer Faktor. Bedingt durch die kurze Entstehungszeit, besitzt das Wohnviertel eine relativ einheitliche und unverwechselbare Charakteristik. Nächst dem Gemeindebau befanden sich etwa die Siemens-Schuckert-Werke. Diese Fabrik war um 1900 die modernste der Elektroindustrie. Das Grundstück, auf dem der Neubau steht, befand sich ab 1927 im Besitz des Landes Niederösterreich. Es ging 1942 an die Stadt Wien.
Die Architektur
Die Wohnhausanlage umfasst mehrere sechs- bis elfgeschoßige Blöcke zwischen dem Handelskai und der Engerthstraße. Paralleles oder rechtwinkeliges Zueinander der Gebäude kennzeichnet die Anordnung. Zwischen den Wohneinheiten sind großzügige Freiflächen vorhanden, die als Grünzonen sowie für einen Kindergarten genutzt werden. Die zur Straße geöffnete Anlage bricht mit der Wiener Tradition der intimen, geschlossenen Hofform. Wie schon in den 1920er- und 1930er-Jahren wurde versucht, durch konzentrierte Stapelung möglichst vieler Wohnungen ausgedehnte Zonen für Erholungs -und Bildungseinrichtungen zu schaffen. Einfache und betont funktionale Gliederung kennzeichnet die Gebäude. Ein von der Grundfarbe des Hauses differenzierter Sockel akzentuiert das Erdgeschoß. Die Fronten weisen sowohl an den Längs- als auch an den Schmalseiten großteils Balkone auf. Fallweise sind rechteckige, in sich quadratisch gerasterte Zierelemente über alle Geschoße hinweg in einer Achse angelegt.
... und die Kunst
Auf einer der Freiflächen der Wohnhausanlage befindet sich eine 1959/60 entstandene Plastik von Herbert Schwarz. Das 3,8 m hohe Kunstwerk aus verlöteten Kupferplatten trägt den Titel "Abstrakte Evolution".Bemerkenswert ist eine Plastik von Rudolf Kedel, die sich nächst dem Kindergarten befindet. Das mit 1962/63 datierte Werk ist aus getriebenem Kupfer gefertigt und misst 1,2 x 0,7 m. Es stellt ein Nashorn mit Jungem dar.Beim Eingang von Stiege 4 befindet sich ein Mosaik von Otto Rudolf Schatz (Ausführung von Hans Stockbauer) mit dem Titel "Brückenbau" und beim Eingang von Stiege 5 eines mit dem Titel "Hausbau".In der Umgebung des Kindergartens findet sich weiters ein Brunnen mit dem Mosaik "Meeresgrund". Das Objekt hat die Dimensionen von 2,4 x 1,3 m und wurde 1962/64 von Therese Schütz-Leinfellner geschaffen.
Der Name
Die Straße, in der die Wohnhausanlage steht, ist nach Hofrat Wilhelm Ritter von Engerth (1814-1884) benannt. Der Namensgeber war Generalinspektor der Staatseisenbahngesellschaft, Mitarbeiter der Donauregulierungskommission und Konstrukteur des Sperrschiffes am Beginn des Donaukanals in Nußdorf.
Architekten
Siegfried Mörth - Siegfried Mörth (1904-1990) studierte an der Technischen Hochschule Wien. Er war zunächst in den Baubüros von Robert Oerley und Hubert Gessner beschäftigt, bevor er sich 1929 als Architekt selbständig machte. Bereits unter dem Regime der Nationalsozialisten errichtete er mehrere Siedlungs- und Wohnbauten in Wien und in Linz. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwarf er einige Wohnhausanlagen für die Gemeinde Wien sowie Bürohäuser und zahlreiche Restaurants in Wien und Umgebung.
Erich Boltenstern - Erich Boltenstern (1896-1991) schloss 1922 sein Studium an der Technischen Hochschule ab und arbeitete im Anschluss unter anderem im Atelier von Hans Poelzig in Berlin, im Büro Theiß & Jaksch in Wien und bei der Eisenbahnverwaltung in Barcelona. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war er auch lehrend an der Wiener Kunstgewerbeschule und an der Akademie der bildenden Künste tätig. Sein erster großer Auftrag aus dieser Zeit war das heute stark veränderte Restaurant am Wiener Kahlenberg (1934-1937). Nach seiner Rückkehr aus dem Exil leitete er ab 1945 stellvertretend die Meisterklasse an der Akademie der bildenden Künste und wurde bald auch an die TH Wien berufen, wo er bis 1968 Professor für Wohnbau war. Boltenstern war einer der wichtigsten Architekten des Wiederaufbaus. Er leitete unter anderem den Wiederaufbau der Wiener Staatsoper (Wien 1, 1948-1955) und der Böhmischen Hofkanzlei am Judenplatz (Wien 1, 1946/47). Er entwarf das neue "Hotel Europa" am Neuen Markt (Wien 1, 1947-1958) und das erste moderne Hochhaus Wiens, den Ringturm am Schottenring (Wien 1, 1953-1955).
Erich Schlöss - Erich Schlöss (geb. 1920) studierte von 1946 bis 1950 Architektur an der Technischen Hochschule Wien, wo er später auch als Assistent wirkte. Seine ersten Praxisjahre absolvierte er bei seinem Lehrer Erich Boltenstern, die Befugnis als Architekt erlangte er 1956. Erich Schlöss war in der Nachkriegszeit unter anderem am Umbau und Wiederaufbau des Theresianums inklusive des Konsulatstraktes für die diplomatische Akademie in Wien 4, am Wiederaufbau der Wiener Staatsoper in Wien 1 und am Wiederaufbau der Wiener Börse in Wien 1 beteiligt. Nach seinen Plänen wurden neben mehreren Wohnhausanlagen in Wien und Niederösterreich etwa auch das Fernwärmewerk Kagran in Wien 22 (mit Harald Bauer, 1968-1973) und die Volksschule Wehlistraße 178 in Wien 2 (1975-1977) errichtet.
Josef Wöhnhart - Josef Wöhnhart (1913-1975) studierte an der Technischen Hochschule Wien. Er war Bauleiter des neuen Fliegerhorstes in Wiener Neustadt und während des Zweiten Weltkrieges Mitarbeiter am Bau des Fliegerhorstes Schwechat. Nach 1945 entstanden mehrere Wohnhäuser und Villen in Wien und Umgebung nach seinen Plänen. Von ihm wurde auch (in Zusammenarbeit mit Robert Hartinger) der Südbahnhof wiederaufgebaut und der Westbahnhof innen und außen gestaltet.
Walter Gindele - Walter Gindele (geb. 1925) studierte von 1945 bis 1953 Architektur an der Technischen Hochschule Wien, wo er 1955 die 2. Staatsprüfung ablegte. Für die Gemeinde Wien war er etwa an den Entwürfen der Wohnhausanlage Engerthstraße 237 in Wien 2 (1959/60) beteiligt. Nach seinen Plänen wurden aber auch das Verlagshaus Polsterer in Wien 7, Lindengasse 48-52 (1962/63), und das Rechenzentrum der Ersten Österreichischen Spar-Casse in Wien 1, Neutorgasse 6-8 (1971/72), errichtet.
Alfred Wanko - Alfred Wanko (1920-1978) studierte an der Technischen Hochschule Wien Architektur, wo er 1954 auch promovierte. Er entwarf unter anderem für die Gemeinde Wien das Wohnhaus Reinprechtsdorfer Straße 51 in Wien 5 (1951).
Franz Schuster - Franz Schuster (1892-1972) studierte Architektur an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Oskar Strnad und Heinrich Tessenow, dessen Mitarbeiter er nach seinem Abschluss wurde. Nach einem Aufenthalt in Dresden wurde er zum Chefarchitekten des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen berufen. In verschiedenen Arbeitsgemeinschaften, unter anderem mit Adolf Loos und Franz Schacherl, war er an der Realisierung der Gemeindesiedlung "Süd-Ost" in Wien 10, Laaer-Berg-Straße 151-203 (1921), der Kriegerheimstätte Hirschstetten I in Wien 22 (1921) sowie der Pioniersiedlung der GESIBA "Denglerschanze" in Wien 21, Josef-Zapf-Gasse 1-37 (1921/22), beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er der Kommission zur Wiederherstellung des Stephansplatzes an und leitete von 1952 bis 1957 die Forschungsstelle für Wohnen und Bauen der Stadt Wien. In dieser Zeit entstand neben mehreren Kindergärten, Schulbauten und sozialen Einrichtungen auch der Emil-Fucik-Hof in Wien 10, Gudrunstraße 55-103 (1950-1952), nach seinen Plänen.