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Marianne und Oscar-Pollak-Hof

Fakten

Marianne und Oscar-Pollak-Hof

Dunantgasse 10-18, 1210 Wien
Prager Straße 31, 1210 Wien

Baujahr: 1958-1969

Wohnungen: 449

Architekt: Friedrich (Fritz) Kastner, Norbert Schlesinger, Alois Brunner, Edith Matzalik, Friedrich Pangratz, Otto Frank, Hans Riedl, Elisabeth Riegler, Josef Horacek, Wilhelm (Willi) Reichel

Weitere Adressen

Tetmajergasse 11-19, 1210 Wien

Wohnen in Wien

In den 1950er-Jahren ging es vor allem darum, Zerstörtes wieder aufzubauen und viele neue Wohnungen zu errichten. In den kommunalen Wohnbauten dieser Zeit finden sich die ersten Ansätze der sich später durchsetzenden Zeilenbauweise, die bis heute die großen Vorstadtsiedlungen prägt. Die Wohnbauten wurden größer, höher und waren verstärkt in Blockform gestaltet. Das Flachdach setzte sich durch. Alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern und WC ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.

Geschichte

Das Grundstück, auf dem sich die heutige Wohnanlage befindet, grenzte ehemals direkt an eine Schienenstrecke der alten Kaiser-Ferdinand-Nordbahn und war Teil eines frühen Wiener Industriegebietes. In unmittelbarer Nachbarschaft befand sich bereits im 18. Jahrhundert die Mautner-Markhof-Brauerei. Die sogenannte "St. Georgs-Brauerei" erzeugte hier bis 1926 das mehrfach ausgezeichnete St.-Georgs-Märzenbier. Infolge einer Fusionierung ab 1913 ging die Anlage in den Besitz der "Vereinigte Brauereien Schwechat, St. Marx, Simmering AG" über. Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Produktion hier weitgehend eingestellt beziehungsweise nach Simmering verlagert. Auf dem Gelände verblieben unterschiedliche Nutzbauten der Schwechater Brauerei.
1944 und 1945 gab es in Floridsdorf zwei Dependancen des Konzentrationslagers Mauthausen. Eine davon, ein Männerlager, war in den Räumlichkeiten der St.-Georgs-Brauerei untergebracht. Genaueres über die Insassen und deren Zahl ist jedoch nicht bekannt; heute erinnert ein Mahnmal an der Prager Straße an ihre traurige Geschichte.
Bombentreffer während des Zweiten Weltkrieges zerstörten große Teile der Gebäude auf dem Gelände zwischen Dunantgasse und Prager Straße. Entlang der Dunantgasse befand sich ein Militärbarackenlager; die Gebäude wurden 1955 gesprengt und abgetragen. Die Gemeinde Wien erwarb das Grundstück und ließ in zwei Bauetappen ab 1958 den heutigen Wohnkomplex errichten, wobei unterschiedliche ArchitektInnen zum Einsatz kamen. Die Anlage wurde durch zahlreiche Umbauten laufend adaptiert. Der erste Bauteil ist von der Prager Straße 31 aus zugänglich, der zweite ist von der Dunantgasse 10-18 aus zu erreichen.

Die Architektur

Der erste Bauteil des nach Marianne und Oscar Pollak benannten Hofes liegt in der Prager Straße 31. Die weitläufige Anlage erstreckt sich auf üppig begrüntem Terrain zwischen Prager Straße, Galvanigasse, Dunantgasse und Tetmajergasse. Bei der großzügigen Verbauung des Geländes ließ man sehr viel Platz zwischen den freistehenden Blöcken. Die insgesamt 19 Stiegen sind teilweise in gekoppelter Bauweise errichtet und zu 12 Baublöcken zusammengeschlossen.
Die Stiegen 11 und 15 sind in zehnstöckigen Sternhäusern untergebracht. Diese ähneln formal schwedischen Beispielen der Nachkriegsarchitektur, insbesondere durch ihre T-Form, und erinnern auch an zeitgleich erbaute Sternhäuser, wie jene in der Schüttaustraße gegenüber des Goethehofs (22. Bezirk, 1958) und die zwei hohen Blöcke des Ernst-Bevin-Hofs in der Andergasse (17. Bezirk, 1958). Grundsätzlich ist ab Mitte der 1950er-Jahre eine allgemeine Tendenz hin zu Hochhäusern zu beobachten.
Etwas abgelegen sind die Stiegen 16-19 zu erreichen. Sie befinden sich in zwei leicht versetzt gekoppelten, zweigeschoßigen Trakten. Einige mittige Glasziegelungen oberhalb der Eingangsbereiche und den Eingang flankierende Erker prägen oberhalb des schmalen Sockelpodestes das Fassadenbild dieser niedrigen Gebäude.
Die restlichen Stiegen sind in viergeschoßigen Blöcken zu beiden Seiten der durch die Anlage verlaufenden Tetmajergasse untergebracht. Die Fassadengestaltung ist hier äußerst schlicht. Rechteckfenster und Balkone öffnen die sonst planen Fassaden. Oberhalb der schmalen, durchgängigen Hauptgesimse befinden sich unauffällige Giebeldächer. Die freistehende Wohnzeile ist eine in den 1950er-Jahren häufig propagierte Form der Bebauung und tritt auch andernorts in Kombination mit Sternhäusern auf (vgl. hierzu den Ernst-Bevin-Hof, 17. Bezirk, Andergasse, 1958).
Der zweite Bauteil des Marianne-und-Oskar-Pollak-Hofes liegt in der Dunantgasse 10-18. Er besteht aus fünf freistehenden Doppelhäusern mit je zwei gekoppelten Stiegen. Die viergeschoßigen Baukörper liegen mit ihrer Schmalseite an der Dunantgasse und sind zueinander etwas versetzt, jedoch annähernd parallel angeordnet. Der Eingang zu den Stiegenhäusern liegt nordseitig. Die Lage der Eingänge wurde architektonisch besonders betont und strukturiert dadurch die schlichten Fassaden. Die Eingangsbereiche sind durch vertiefte, farblich differenzierte Wandfelder hervorgehoben, die bis an das Hauptgesims heranreichen. Richtung Südwesten sind die Blöcke mit Balkonen ausgestattet, die mittig dreireihig und seitlich einreihig an vertieft eingelassenen Fassadenfeldern ansetzen. Oberhalb des schmalen Sockelpodestes bleiben die Fassaden ansonsten glatt und werden nur durch Rechteckfenster durchbrochen. An den nach Osten und Westen ausgerichteten Schmalseiten bilden die Außenmauern bis auf wenige Fensteröffnungen geschlossene Fronten. Die bereits in die Planung miteinbezogene mehrfarbige Gestaltung der Anlage und deren heutige Umsetzung lockert die Fassaden der sonst schlichten Blöcke auf. Die Hauptgesimse der Giebeldächer sind durchgängig ausgeführt. Wohnkomfort und die funktional konzipierte, öffentliche Grünanlage sowie die Koppelung der Stiegen zu frei stehenden Zeilen sind wesentliche Merkmale der Anlage.

... und die Kunst

In der Dunantgasse steht auf einem Rasenstück vor der Wohnhausanlage eine 4,2 m hohe Stele mit Mosaiken (1959/60), gestaltet vom Künstler Hans R. Pippal. Die Stele ist auf allen vier Seiten mit abstrakten Darstellungen ausgefüllt und trägt den Schriftzug "Henri Dunant, 1828-1910, Gründer des Roten Kreuzes". Damit wird an den Namensgeber der Dunantgasse erinnert.
Direkt hinter dem Beratungszentrum der Arbeiterkammer an der Prager Straße findet man das Wandmosaik "Wasservögel beziehen ihr Winterquartier in der Großstadt" von Hans Stockbauer. Tierdarstellungen sind häufig gewählte Motive, die den Freizeitraum des Menschen im Einklang mit der Natur symbolisieren oder als naturkundliche Anschauungstafeln dienen.
Bei der Stiege 15 befindet sich eine von Rudolf Hoflehner als "Ornamentales Muster" gestaltete Trennwand. Eine Trennwand des Vordaches bei Stiege 11 stammt von Hans Leinfellner. Sie trägt den Titel "Abstraktion" und besteht aus Lindabrunner Konglomerat.
In der weitläufigen Grünanlage befindet sich die Plastik "Stehender junger Mann" von Franz Fischer. Die Kunstwerke entstanden alle zwischen 1958 und 1961.
Das Mahnmal "Niemals vergessen" direkt vor dem Gelände der Anlage in der Prager Straße erinnert an die Insassen des Ablegers des Konzentrationslagers Mauthausen, das sich auf diesem Gelände befand.
An einer Hausmauer nahe der Prager Straße befindet sich eine Gedenktafel für Marianne und Oscar Pollak.

Der Name

Benannt ist die Wohnhausanlage nach dem Ehepaar Marianne (1891-1963, geb. Springer) und Oscar Pollak (1893-1963). Oscar Pollak wurde nach dem Ersten Weltkrieg Londoner Korrespondent der Arbeiter-Zeitung und arbeitete gemeinsam mit seiner Frau Marianne ab 1923 im Sekretariat der Sozialistischen Internationalen in London. Nach ihrer Rückkehr nach Wien 1926 stieg er bald zum Chefredakteur der Arbeiter-Zeitung auf, Marianne Pollak wurde Herausgeberin der Zeitschrift "Das kleine Blatt" und engagierte sich aktiv in der Frauenbewegung. Oscar Pollak war 1934 Mitbegründer der Revolutionären Sozialisten. Als die politische Lage zu gefährlich wurde, musste das Ehepaar das Land jedoch verlassen. 1940 kamen sie schließlich wieder nach London, wo Oscar Pollak das Büro der Österreichischen Sozialisten in Großbritannien mit aufbaute. 1945 kehrte das Ehepaar nach Wien zurück. Oscar Pollak übernahm wieder die Leitung der Arbeiter-Zeitung, wobei er klare Stellung für die Unabhängigkeit Österreichs bezog. Marianne Pollak wurde 1945 in den Nationalrat gewählt, dem sie bis 1959 angehörte. Sie war Mitglied des Frauen-Zentral-Komitees, Chefredakteurin der Zeitschrift "Die Frau", Vorstandsmitglied der Journalistengewerkschaft sowie Mitglied der beratenden Versammlung des Europarates.

Architekten

Friedrich (Fritz) Kastner - Friedrich (Fritz) Kastner (1910-2002) studierte an der Technischen Hochschule Wien, wo er 1938 mit einer Arbeit über den Standort von Hochbauten (Raststätten, Tankstellen) an der deutschen Reichsautobahn (RAB) promovierte. Er absolvierte unter anderem ein Berufspraktikum im RAB-Büro in München, wo er für Raststätten, Tankstellen, Straßenmeistereien und andere Hochbauten zuständig war, die er später auch entlang der Alpenstraße und der RAB-Strecke München-Salzburg realisierte. Weiters entstanden im gesamten Reichsgebiet Volkswohnhäuser unter seiner Planung.

Norbert Schlesinger - Norbert Schlesinger (1908-1980) absolvierte nach dem Besuch der Staatsgewerbeschulen in Reichenberg (Tschechien) und in Wien 1 zunächst diverse Praktika, bevor er von 1927 bis 1931 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Clemens Holzmeister studierte. Im Anschluss gründete er eine Bürogemeinschaft mit Rudolf Baumfeld, in der vor allem Geschäftseinrichtungen und Einfamilienhäuser realisiert wurden. 1936 ging Norbert Schlesinger allerdings nach Deutschland, wo er unter anderem als Leiter der Abteilung Städtebau am Aufbau der Stadt des Volkswagens in Wolfsburg tätig war (1938-1940). Ab 1940 wieder in Wien, widmete er sich neben dem Industriebau in den Nachkriegsjahren vor allem dem Wohnbau in NÖ und Wien. Eines seiner wichtigsten Bauwerke aus dieser Zeit ist die Hauptschule Grundsteingasse 48 in Wien 16 (1961-1963, mit Ernst Lichtblau). Ab 1958 war Norbert Schlesinger Lehrbeauftragter an der Hochschule für angewandte Kunst Wien, wo er von 1962 bis 1978 die Meisterklasse für Architektur leitete.

Alois Brunner - Alois Brunner (1921-1983) studierte von 1937 bis 1943 Architektur bei Franz Schuster an der Hochschule für angewandte Kunst Wien. Nach dem Studium arbeitete er zunächst bei verschiedenen Baufirmen mit und machte sich 1950 als Architekt selbständig. Zu Beginn war Alois Brunner vorwiegend im Wiederaufbau tätig. Zahlreiche Wohn- und Geschäftsbauten wurden nach seinen Entwürfen errichtet, wie etwa für die Gemeinde Wien die Wohnhäuser Vollbadgasse 1 in Wien 17 (1962-1964) und Krottenbachstraße 40 in Wien 19 (1966-1970).

Edith Matzalik - Die in Brünn (Tschechien) geborene Edith Matzalik (1903-1968) studierte von 1921 bis 1924 unter anderem bei Josef Frank und Oskar Strnad an der Wiener Kunstgewerbeschule. Über ihr architektonisches Schaffen sind kaum Daten bekannt. Für die Gemeinde Wien war Edith Matzalik etwa an den Plänen zur Wohnhausanlage Prager Straße 31 in Wien 21 (1958-1960) beteiligt.

Friedrich Pangratz - Friedrich Pangratz (1910-1997) studierte von 1928 bis 1932 Architektur an der Technischen Hochschule Wien, wo er 1933 die zweite Staatsprüfung ablegte. Friedrich Pangratz war für die Gemeinde Wien vor allem in den 1950er- und 1960er-Jahren an der Realisierung zahlreicher Wohnhausanlagen beteiligt. Eigenständig entwarf er unter anderem die Wohnhäuser Fasangasse 35-37 in Wien 3 (1954/55) und Krottenbachstraße 39-41 in Wien 19 (1954/55).

Otto Frank - Otto Frank (geb. 1920) studierte von 1947-1951 an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Franz Schuster. Für die Gemeinde Wien arbeitete er vorwiegend in größeren Architektengemeinschaften an mehreren Wohnbauten mit. So war Frank unter anderem an den Entwürfen zum August-Fürst-Hof in Wien 12 (Meidlinger Hauptstraße 8-14, 1955-1957) und zum Salvador-Allende-Hof in Wien 11 (Simmeringer Hauptstraße 190-192, 1963-1968) beteiligt.

Hans Riedl - Hans (Johann) Riedl (1920-1993) studierte von 1940 bis 1949 Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien war er an der Errichtung mehrerer großer Wohnhausanlagen beteiligt, wie etwa am Heinrich-Hajek-Hof in Wien 15, Oeverseestraße 13-19 (1954-1956), und der Anlage Engerthstraße 232-238 in Wien 2 (1963/64).

Elisabeth Riegler - Elisabeth Riegler (geb. Gottwald, 1923) wurde in Bad Aussee geboren und studierte ab 1941 an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien war sie unter anderem an den Plänen zur Wohnhausanlage Prager Straße 31 in Wien 21 (1958-1960) beteiligt.

Josef Horacek - Josef Horacek (1911-1993) studierte zunächst Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Clemens Holzmeister. Im Anschluss daran war er an der Hochschule für angewandte Kunst inskribiert, wo er von 1933 bis 1937 unter anderem bei Josef Hoffmann studierte, in dessen Büro er auch beschäftigt war. Horacek arbeitete hier sowohl an Architekturentwürfen als auch an der Detailplanung von Kleinmöbeln oder der Ausführung eines Faltsesselprototyps. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag der Schwerpunkt seiner Arbeit im Wohnbau, des Öfteren im Auftrag der Stadt Wien.

Wilhelm (Willi) Reichel - Wilhelm (Willi) Reichel (geb. 1917) studierte von 1935 bis 1949 Architektur an der Technischen Hochschule Wien und besuchte ebendort 1951/52 auch die Meisterschule. Für die Gemeinde Wien war er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Errichtung mehrerer Wohnhausanlagen beteiligt, wie etwa der Anlagen Paulinengasse 13 in Wien 18 (1950-1952) und Ottakringer Straße 188 in Wien 16 (1984/85).