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Irene-Harand-Hof

Fakten

Irene-Harand-Hof

Judengasse 4, 1010 Wien

Baujahr: 1951-1952

Wohnungen: 22

Architekt: Fritz Waage

Wohnen in Wien

Ab 1949 war der Wohnbau zahlenmäßig wieder auf dem Niveau des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit. Doch noch war die Bevölkerung verarmt und oft obdachlos. Kleine Duplex-Wohnungen, die später zusammengelegt werden konnten, linderten schließlich die Wohnungsnot. 1951 wurde Franz Jonas, Sohn einer Arbeiterfamilie, Bürgermeister von Wien. In seine Amtszeit fiel die rege Bautätigkeit im Rahmen des Projektes "Sozialer Städtebau" ab 1952. Das 8-Punkte-Programm hatte die Trennung von Wohn- und Gewerbebereichen, eine Auflockerung der Wohnbereiche sowie die Assanierung einzelner Viertel zum Ziel. Die standardmäßige Ausstattung der Wohnungen wurde verbessert - alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.

Geschichte

Angesichts des Riesenbauprojekts der Ringstraße vergisst man gerne auf die gewaltige Bautätigkeit, die im 19. Jahrhundert auch die Innere Stadt veränderte. Dem Fortschrittsgedanken und dem Erneuerungswillen der damaligen Zeit entsprechend, wurden dabei auch - aus heutiger Sicht - erhaltenswerte und kulturhistorisch wertvolle Bauwerke abgetragen, so z.B. alle noch bestehenden gotischen Stadttürme (bis auf jenen im Hof des Hauses Fleischmarkt 9). Aber auch ganze Baukomplexe wie der alte Lazenhof (1852) wurden in dieser Zeitspanne demoliert.

Die Architektur

Fritz Waage, der in der Zwischenkriegszeit durch betont sachlich-funktionale Bauten in Erscheinung getreten war, hat sich hier in historisch geprägter Umgebung der Anonymität gründerzeitlicher Baukultur angenähert. Die einfache, verputzte Lochfassade mit diskret gerahmten Fenstern unterstreicht ein traditionelles Erscheinungsbild. Die leichte Bänderung im Erdgeschoß - sowohl straßen- wie auch hofseitig geführt - übernimmt die klassizistische, neobarocke Formensprache des Nachbarhauses Judengasse 8 und kann als historisierende Stilanpassung gewertet werden. Die vertikale Gliederung in Erdgeschoß mit Geschäftseinbauten und Hauptzone mit zwei, fünf oder sieben Wohngeschoßen wird durch ein ebenfalls vom Nachbargebäude übertragenes Gesims betont. Die dreiteilige horizontale Gliederung spielt mit der Symmetrie, wobei die mittlere Zone in den Straßenraum gezogen wurde, ohne jedoch, wie angedeutet, wirklich den Eingang zu bilden. Dieser liegt im seitlichen, als Verbindungsbau ausgebildeten Trakt.

... und die Kunst

In der Mittelachse des zentralen Fassadenteils im ersten Obergeschoß befindet sich eine Nische mit einer Barockskulptur aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Statue zeigt die Heilige Barbara mit Krone, Schwert, Kelch und Turm - in dem sie, der Legende nach, lange Zeit eingesperrt war. Wegen dieses "Aufenthalts" im Dunkeln gilt sie auch als die Schutzpatronin der Bergarbeiter.

Der Name

Der über dem Eingangsportal angebrachte Namenszug Lazenhof verweist auf einen 1852 an dieser Stelle geschliffenen Baukomplex. Dieser stammte aus dem 14. Jahrhundert und war ab dem Jahr 1548 im Besitz von Wolfgang Lazius.
Die eigentliche Bezeichnung des Wohnkomplexes - Irene-Harand-Hof - geht auf die 1900 in Wien geborene und 1975 in New York City verstorbene Journalistin und Politikerin Irene Harand zurück. Harand gründete 1930 gemeinsam mit dem jüdischen Anwalt Moriz Zalmann die Österreichische Volkspartei, die sich für "Kleinrentner und Arme" einsetzte und im Gegensatz zu den anderen Parteien aktiv gegen den Rassismus auftrat. 1933 veranlasste sie die so genannte "Weltbewegung gegen Rassenhass und Menschennot" und gab außerdem die antinationalsozialistische Wochenzeitschrift "Gerechtigkeit" heraus. Drei Jahre nach dem Erscheinen ihres Buches "Sein Kampf. Antwort an Hitler" gingen die Nationalsozialisten aktiv gegen sie vor: Es wurde ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt und ihre Bücher wurden öffentlich in Salzburg verbrannt. Daraufhin flüchtete Harand in die USA, wo sie das "Austrian Forum" ins Leben rief. Österreich ehrte ihr politisch-soziales Schaffen mit der Ehrenmedaille "Gerechte unter den Völkern" und der Beisetzung ihrer Asche in einem Ehrengrab der Gemeinde Wien.

Architekten

Fritz Waage - Fritz Waage (1898-1968) studierte an der Technischen Hochschule Wien und war Hospitant in der Architekturklasse von Josef Hoffmann an der Wiener Kunstgewerbeschule. Er arbeitete zunächst im Büro von Hubert Gessner, bevor er sich 1928 mit Eugen Kastner selbständig machte. Bereits mit ihrem ersten Projekt, dem Umspannwerk Favoriten (Humboldtgasse 1 - 5, Wien 10, 1928 - 1930), erregten sie große Aufmerksamkeit. Nach 1945 arbeitete Waage vor allem mit Wilhelm Kroupa zusammen, mit dem er zahlreiche Wohnhäuser für die Gemeinde Wien realisierte.