Friesenplatz 1-2
Friesenplatz 1-2
Friesenplatz 1-2, 1100 WienBaujahr: 1925-1925
Wohnungen: 178
Architekt: Friedrich Zotter, Max Theuer, Erwin Böck
Weitere Adressen
Angeligasse 75-81, 1100 Wien
Hardtmuthgasse 80-86, 1100 Wien
Wohnen in Wien
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde die Sozialdemokratie bestimmende Kraft im Wiener Rathaus. 1922 wurde Wien ein selbstständiges Bundesland. Damit war auch der Grundstein für das "Rote Wien" gelegt. Neben Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen wurde 1923 ein umfangreiches Bauprogramm gestartet, um für die Bevölkerung menschenwürdige Wohnungen zu schaffen - hell, trocken, mit Wasserleitung und WC ausgestattet, waren sie ein krasser Gegensatz zu den Bassena-Wohnungen in den Mietskasernen. Wesentlicher Teil der Anlagen waren Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Kindergärten, Waschküchen, Mütterberatungsstellen, Ambulatorien, Tuberkulosestellen, Turnhallen, Bibliotheken etc. Die Stadt Wien errichtete in der Zwischenkriegszeit 63.000 Wohnungen.
Geschichte
Die Wohnhausanlage wurde 1925 vom Wiener Stadtbauamt in einem gründerzeitlichen Rasterviertel entlang von drei Straßenzügen errichtet. Die teils fünf-, teils sechsgeschoßige Randverbauung umschließt einen sehr geräumigen Hof (1.573 m²) mit einem frei stehenden Innentraktteil. Die Hofanlage ist nur vom Friesenplatz aus über eine gewölbte, mit Stein verkleidete Einfahrt zugänglich und umfasst neun Stiegenhäuser mit ursprünglich 189 (heute 181) Wohnungen. Diese sind in zwei Größen ausgeführt: Die größeren verfügen über bis zu 45 m², die kleineren über 35 m². Entlang der Neilreichgasse sind im Erdgeschoß ein öffentlicher Kindergarten und bei der Durchfahrt die Hausmeisterwohnung untergebracht. Ein Gasthaus, eine Lehrwerkstätte sowie in der Angeligasse zwei vermietbare Werkstätten im Souterrain sind ebenfalls in die Anlage integriert.
Die Architektur
Erwin Böck schuf gemeinsam mit den Architekten Max Theuer und Friedrich Zotter eine etwas eigenwillige Ecklösung mit einem leicht gedrehten Wohnturm im Hof. Die Anlage steht durch die starke Gliederung der Fassaden mit Spitzerkern, Risaliten, Giebelfolgen und verschieden hoch gestalteten Baublöcken mit heruntergezogenen Walmdächern, Schlusssteinen und Konsolen ganz im Sinne der romantisch-expressiven Tradition des frühen Gemeindebaus. Sie umfasst neun Stiegen, die der Anlage durch die vielen abgewalmten Dachformen ein reiches und bewegtes Äußeres verleihen. Am Friesenplatz rückt ein großer Teil der Front hinter die Baulinie zurück, wodurch ein kleiner, vorgartenähnlicher Platz ausgebildet wird. Ein etwas aus der Achse gegen den Friesenplatz verschobener Teil springt hingegen bis zur Baulinie vor.Die Fassadenfronten sind fünf- bis sechsgeschoßig und durch spitzwinkelige Erker sowie aufstrebende Risalitgiebel einheitlich gegliedert. Das Sockelgestein, das vergitterte Fenster- und Torwerk, der (ehemals) dreifarbige Edelputz und die steinverkleidete Einfahrt sorgen für eine Auflockerung der straßenseitigen Fassaden - ein Thema, das auch hofseitig weitergeführt wird. Auch hier entsprechen die Fassaden in ihrem Formenreichtum weitgehend dem nationalromantischen Heimatstil. Zwei laubenähnliche, efeubewachsene Rundbogendurchgänge (Pergolen) und der Innentrakt bilden den architektonischen Abschluss des geräumigen Hofes gegen die Hofansichten der ähnlich aufgebauten, um 1900 errichteten Nachbarhäuser. Im frei stehenden Hofgebäude mit T-förmigem Grundriss ist ein Jugend- und Kinderhort mit kleinem Kinderspielplatz untergebracht.
Der Name
Der nach Friedrich Friesen (1785-1814) benannte Platz im 10. Wiener Gemeindebezirk existiert seit 1897. Friesen war Architekt in Berlin, Mitglied des Tugendbundes und Mitbegründer des Turnwesens. Als Adjutant des Freischarführers Lützow fiel er in den Napoleonischen Kriegen (1814). Nach seinem Tod avancierte er zum Vorbild der Deutschen Burschenschaft.
Architekten
Friedrich Zotter - Friedrich Zotter (1894-1961) studierte von 1912 bis 1915 an der Technischen Hochschule in Wien, wo er von 1919 bis 1924 auch Assistent bei Karl Mayreder und Max v. Ferstel war. Gegen Mitte der 1920-Jahre machte sich Zotter selbstständig. Aus dieser Zeit stammen die meisten seiner Wiener Bauten, darunter die einzige realisierte Wohnhausanlage für die Gemeinde Wien am Friesenplatz (gemeinsam mit Max Theuer und Erwin Böck). Nach seiner langjährigen Lehrtätigkeit als Professor an der TH Graz etablierte Zotter gemeinsam mit Karl Hoffmann eine moderne Architekturschule. Während des Zweiten Weltkrieges unterrichtete er an der Pionierschule Speyer Brückenbau, nach Ende des Krieges beteiligte er sich am Wiederaufbau. Friedrich Zotter war bis zu seinem Tod - er starb 67-jährig nach langer Krankheit - als Professor und Architekt aktiv.
Max Theuer - Max Theuer (1878-1949) studierte von 1897 bis 1903 an der Technischen Hochschule in Wien, u.a. bei Karl Mayreder. Nach seiner Habilitation 1919 unterrichtete er Baukunst an der Technischen Hochschule in Wien (in Supplierung für Max Fabiani), von 1924 bis 1948 war er, ebenfalls an der TH Wien, Professor für Baugeschichte. Daneben war Theuer immer wieder als freier Architekt tätig, zumeist in Zusammenarbeit mit Erwin Böck. Theuer erhielt 1915 die Silberne Ehrenmedaille für seine Mitarbeit an Kriegsspitälern und bekleidete gleich mehrere Ämter. Sein besonderes Interesse galt jedoch der antiken Baukunst, über die er immer wieder Vorlesungen hielt und auch mehrere Schriften veröffentlichte. Gemeinsam mit Erwin Böck und Friedrich Zotter realisierte er zudem die Villa Dr. Bardasch in Wien 19, Koblenzgasse 62.
Erwin Böck - Erwin Böck (1894-1966) studierte an der Technischen Universität Wien und arbeitete bereits als Student in verschiedenen Architekturbüros. Neben seiner Tätigkeit als Architekt lehrte er auch an der TU Wien sowie der Akademie der bildenden Künste, wo er später Professor wurde. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag im Wohnhausbau. Für die Gemeinde Wien plante er seit den 1920er bis in die 1960er Jahre zahlreiche Wohnanlagen.